„Deutschland und Japan sind Brüder!“
Informativ und umfassend, aber auch persönlich und emotional: Der Vortrag von Kazuhiko Kobayashi, den er am Dienstag auf unsere Einladung hin hielt, war besonders ausdrucksstark. Im Mittelpunkt stand die Frage nach der Vorbildfunktion der deutschen Atomkraftgegner für die aufkeimende Debatte in Japan. Doch Kobayashi hatte viel mehr zu berichten und holte weit aus: Wie auch in seinem bald erscheinenden Buch „Globalisierung und unser Leben“ verortet er die Nutzung der Atomkraft als „eine der gefährlichsten Technologien, über die die Menschheit verfügt“, denn sie ist im Ernstfall nicht kontrollierbar – bei einem GAU kann deshalb niemand Verantwortung übernehmen. Und doch wurden überall auf der Welt Atomkraftwerke gebaut, war die Atomkraft doch ein Nebenprodukt der Atombombe und versprach günstige Energie.
Verquickungen von Politik und Wirtschaft
Für Japan macht Kobayashi noch einen zusätzlichen Faktor aus: Der Beamtenapparat sei stark mit der Wirtschaftslobby verbunden, besonders in der Atombranche. Und trotz aller Gefahren, die man bewusst in Kauf nehme, schaffe die Politik die Spielräume für die Atomkraft, weil private Interessen dahinter stecken sollen: Es sei keine Seltenheit, so Kobayashi, dass Beamte während ihrer Laufbahn den Grundstein legen für eine hohe Position in einem Energieunternehmen nach ihrer Pensionierung.
„Diese Eliten gehen völlig bewusst das Risiko eines Unfalls ein“, sagt er – immerhin gab es seit 2001 18 starke Erdbeben in Japan von insgesamt 155 weltweit. Und nach der Katastrophe in Fukushima habe man das Thema klein halten wollen: „Die Verantwortlichen haben mit ‚unvorstellbaren Naturgewalten‘ argumentiert“, so Kobayashi verärgert. Auch Bestrafungen der Verantwortlichen stünden noch aus.
Das habe so System, so Kobayashi weiter. Die Wirtschafts- und Beamtenelite setze alles daran, die Risiken schnell vergessen zu lassen, beispielsweise durch ungenaue Messungen. Auch Ärzte hätten kein Interesse daran, außergewöhnliche Krankheiten bei Kleinkindern als Folge des GAUs zu deklarieren, da ihnen sonst staatliche Gelder gestrichen würden – alles passe ins Bild, sagt er.
Neuformulierung der japanischen Protestkultur
Wie kann nun Deutschland zum Vorbild für Japan werden? Dazu hatten wir auch die Filmemacherin Clarissa Seidel eingeladen, die zusammen mit ihrer Freundin Julia Leser Wochen nach der Katastrophe in Japan war, um die Protestbewegungen zu beobachten. Im Trailer ihres Films, der am Dienstag gezeigt wurde, wird klar: Manche glauben, Fukushima habe ein Potenzial wie der arabische Frühling. Und die Debatte sei nicht auf die Atompolitik beschränkt: Die Bewegung könnte gesamtgesellschaftlich relevant werden.
Clarissa Seidel erläuterte, dass dabei auch der Westen eine entscheidende Rolle spiele: „Demos waren in Japan bislang verpönt, doch das liegt nur an der Form der bisherigen Proteste“. Durch die westliche, europäische Art der Demonstrationen hätten sich viel mehr Menschen beteiligt. Auch das „Atomkraft? Nein danke!“-Symbol habe man schon übernommen. Clarissa glaubt jedoch, dass die japanische Bevölkerung auf Dauer ihren eigenen Weg finden müsse und werde, „alleine aufgrund des eigenen Umgangs mit der Polizei und dem Staat“.
Deutschland als Vorbild: „Ablehnung verstärken, Wandel einleiten!“
Kobayashi stimmt dem zu: Insbesondere die junge Generation denke, handle und lebe mittlerweile sehr europäisch und amerikanisch – so könne sie die Demonstrationskultur automatisch aufnehmen.
Auch insgesamt, so sagt er, habe Deutschlands Ausstieg Hoffnung gemacht, dass auch ein Weg ohne Atomkraft möglich ist. Wenn Deutschland es schaffe zu zeigen, wie man den Umstieg vollzieht und auch seine Nachbarländer überzeugt, könnte das Land Vorbild für Japan werden, denn sein Land halte viel von Deutschland: „Japan und Deutschland sind Brüder“, sagt er, denn beide seien Hochtechnologieländer und stark miteinander verwurzelt. Er vermisst jedoch diese klare Vorreiterrolle Deutschlands bislang. Er fordert eine noch konkretere Ablehnung der Atomkraft, eine noch pointiertere Befürwortung der erneuerbaren Energien. Außerdem schlägt er eine Art internationale Organisation vor, in der Wissenschaftler und Bürgerbewegungen eine „Gegenlobby“ zur Atomwirtschaft bilden. Clarissa ergänzt: Auch die unzähligen deutschen Aktivisten können helfen, indem sie die japanischen Kollegen kontaktieren: Vernetzung, Dialog und Informationsausstausch sind die Stichpunkte.
Erste Schritte dahin wurden auch gleich unternommen: Bei einem gemütlichen Ausklang in einer benachbarten Kneipe wurde dieses Ziel bereits ins Auge gefasst.
Tags: Anti-Atom, Atomkraft, Veranstaltung, Vernetzung